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DAS AUGE


RÜSTET MIT






Arbeit für harte Jungs. Sven Bialek auf dem Gerüst des Hauses der Berliner Zeitung. Zu Hause warten zwei Katzen und seine Verlobte auf ihn. Foto: Hans Richard Edinger

Sven Bialek hat schon mit Unbekannten auf ihrem Balkon gefrühstückt. Und er lernt quasi täglich neue Ecken in Berlin kennen. Das sind die Seiten, die der Gerüstbauer an seinem Beruf liebt. Wovor er Angst hat und warum Gerüstbauer auch ein ästhetischer Beruf ist, hat er der Berliner Zeitung erzählt.

Für mich ist Gerüstbauer der schönste Beruf der Welt. Er ist zwar schwer und gefährlich, aber ich bin an der frischen Luft und lerne ständig neue Ecken von Berlin kennen - und neue Leute. Wenn wir Wohnhäuser einrüsten, stellt gelegentlich eine Oma Kaffee und Kekse aufs Fensterbrett. Einmal sind wir zum Essen auf einen Balkon eingeladen worden. Ein Riesenspaß.

Die Ratsche ist unser Symbol

Ansonsten reden wir nicht viel auf der Arbeit. Früh um 6 Uhr ist Treff auf der Baustelle, zuerst werden die Maschinen und Akkuladegeräte angeschlossen, dann schnallen wir uns das Werkzeug um. Der Vorarbeiter teilt die Teams ein. Und schon geht es los: Rahmen, Rohre und was wir sonst noch so brauchen vom Lkw holen. Wenn es Aufzüge gibt, diese beladen und das Material hochfahren. Wenn es keinen Aufzug gibt, alles per Hand in die Höhe tragen. Und dann geht es ans Schrauben und Ratschen.

Die Ratsche ist das Symbol unseres Berufsstandes. Wenn Sie früh zwischen 5 und 7 Uhr auf der Ringbahn unterwegs sind, sehen Sie viele Männer, die ihre Ratsche am Gürtel tragen. Ich zeige mit meinem Koppelschloss Flagge. Das steht drauf: „Hoch die Gerüstbaukunst“. Den Gürtel trage ich auch privat.

70 Prozent der Arbeit eines Gerüstbauers sind Transportarbeiten. Nur 30 Prozent der Zeit nehmen Auf- und Abbau der Gerüste ein. Manchmal laufen wir 70 Meter weit, um das Material in den 3. Hinterhof zu tragen. Lust auf Sport habe ich da abends nicht mehr.


Ordentlich viel Gepäck schleppt ein Gerüstbauer bei der Arbeit am Gürtel mit sich herum. Foto: Hans Richard Edinger

Als junger Spund willst du noch angeben: Schaut her, wie viel ich auf einen Ritt wegschleppen kann. Aber das gibt sich schnell. Jetzt pass’ ich auf, dass ich mir die Knochen nicht ruiniere. Schließlich will ich den Beruf noch lange machen. Ich kenne trotzdem keinen Gerüstbauer ohne Rücken- oder Knieprobleme. Ich hatte es schon mit der Schulter.

In dem Beruf, und das ist der Reiz, muss man körperlich und geistig fit sein. Wer in großer Höhe arbeitet, sollte wissen, was er tut. Kein Gerüst gleicht dem anderen. Außerdem soll so ein Gerüst am Ende auch schön sein. Mein Vorarbeiter sagt immer: „Das Auge rüstet mit.“

In der Schule in Storkow war ich nicht dumm, aber faul. Nachmittags Mappe in die Ecke und raus zum Basketball oder zur Freiwilligen Feuerwehr. Das war mein Ding. Kurz vor Ostern in der 10. Klasse nahm mich mein Vater dann mal zur Brust. Ich setzte mich dann hin und überlegte, was ich eigentlich von der Zukunft will.

Ich schrieb die einzigen drei Bewerbungen meines Lebens - für eine Lehre als Zimmermann, Stahlbauer und Gerüstbauer. Die Gerüst-Firma meldete sich als erste. Der Chef fragte, ob ich nicht in den Osterferien bei ihnen reinschnuppern wollte. Am Ende der Ferien haben wir den Vertrag unterschrieben. Nach der Lehre habe ich meinen Grundwehrdienst geleistet und dann wieder bei meiner alten Storkower Firma angefangen.


Gigant Özil: Ein riesiges Poster des deutschen Spielmachers hängt derzeit an der Fassade der Berliner Zeitung. Hoffentlich bringt es Glück bei der WM. Foto: AFP

In der Winterarbeitslosigkeit 2006 bekam ich einen Anruf meines Vermittlers vom Arbeitsamt, ob ich in die Schweiz gehen würde. Natürlich! Mir fiel zu Hause schon die Decke auf den Kopf. Am nächsten Tag setzte ich mich in den Zug nach St. Moritz. Dort war es interessant, aber hammerhart. Nach einem Jahr wollte ich wieder nach Hause. Dann bin ich acht Wochen lang auf der Suche nach Arbeit täglich mit der Bahn aus Storkow nach Berlin gefahren. Ich fand nichts, weil mir der Führerschein fehlte. Über das Arbeitsamt kam der Tipp, es doch bei der Firma Ro2 zu versuchen. Die Woche drauf konnte ich anfangen. Den 12. März 2007, meinen ersten Arbeitstag dort, werde ich nie vergessen. So sehr habe ich mich gefreut.

Seitdem ging es ständig voran. Ich bin Kolonnenführer geworden, habe die Ausbildereignungsprüfung bei der Handwerkskammer gemacht, so dass ich jetzt Lehrlinge auf der Baustelle betreuen darf. Und der Führerschein ist auch kein Thema mehr, was meinen Vater glücklich gemacht hat.

Das beste Wetter für Gerüstbauer ist Sonne und Windstille. Da kann es ruhig minus zehn Grad sein. Skimaske übers Gesicht und ordentlich eingemummelt, macht die Kälte nichts aus. Gewitter ist ganz böse. Einmal - ich montierte ein Gerüst an einer Villa - braute sich was am Himmel zusammen, doch ich wollte unbedingt noch ein Loch zu Ende bohren. Plötzlich schlug ein Blitz in den Garten ein. Da bin ich zu Tode erschrocken vom Gerüst gesprungen. Seitdem arbeite ich stets mit einem halben Auge zum Himmel, wenn sich die Sonne verdunkelt.

Hoch überm Potsdamer Platz
Meine höchste Baustelle in letzter Zeit war der grüne Würfel auf dem Dach des Atrium Towers (früher debis-Haus) am Potsdamer Platz. Wir arbeiten viel am Potsdamer Platz, aber der Würfel war eine besondere Herausforderung. Er ist von der Funktion her ein Abzugsturm und sollte neue grüne Lichter kriegen. Wir mussten dazu den Lüftungsschacht im Inneren des Hauses 106 Meter hochrüsten und dann oben den Würfel mit Gitterträgern ummanteln. Das war spannend.
Aber das Beste an meinem Leben ist, dass ich mit meiner Verlobten eine Frau gefunden habe, mit der alles wunderbar passt. Sie akzeptiert, dass früh um halb vier der Wecker klingelt und dass ein Gerüstbauer nie weiß, wann er Feierabend hat. Wenn die Chance besteht, das Gerüst an dem Tag noch fertigzukriegen, dann erledigen wir das eben.